10. September 2013

Der alltägliche SEO-Wahnsinn

In unserer Arbeit als Web-Developer erleben meine Bürokollegen Serge Hardmeier, Diego Brauchbar und ich immer wieder Kunden, die einen «Experten» für Search-Engine-Optimization (Suchmaschinen-Optimierung, SEO) engagiert haben. Oft kommen diese dann mit abstrusen Ideen zu uns, wie man die Website des Kunden optimieren kann. Wir haben einige Fälle zusammengetragen und geben unsere Kommentare dazu ab.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass wir mit diesem Blogpost den wirklichen SEO-Experten (es gibt sie - sie sind aber eine rare Spezies) nicht auf die Füsse treten möchten. Als Webdesigner / Developer sind wir zwar keine SEO-Experten, aber wir haben uns einiges an Wissen über SEO angeeignet.

Und nun zu unseren interessanten Fällen:

Fall #1

Ein Kunde erhält von einem SEO-«Experten» eine lange Liste mit Optimierungsvorschlägen und leitet diese dann an uns weiter.

Leider ein Klassiker: Hätte der SEO-«Experte» den Kunden mit verschiedenen Begriffen via Google gesucht, dann hätte er gesehen, dass die Website des Kunden bei allen relevanten Begriffen bereits in den Top 3 ist. Der SEO–«Experte» hätte dem Kunden wohl kaum die Liste mit Optimierungsvorschlägen zusenden müssen. Aber offensichtlich beissen bei Massenmailings genügend ahnungslose Kunden an.

Fall #2

Ein SEO-«Experte» empfiehlt dem Kunden einen eBay-Account zu eröffnen, um Fake-Angebote zu publizieren. Im Text der Angebote soll ein Link zur eigenen Website platziert werden.

Im Ernst? Damit möchte der SEO-«Experte» Backlinks zur Website generieren. An sich ja keine schlechte Sache. Aber müssen es wirklich Fake-Angebote auf einer Auktionsplatform sein? Ein Link-Austausch mit Partnern wäre vielleicht angebrachter.

Fall #3

Ein SEO-«Experte» empfiehlt den Inhalt einer Seite 2x zu kopieren, so dass die entsprechende Seite 3x auf dem Server vorhanden ist. Die kopierten Seiten sollten via Meta-Refresh auf die ursprüngliche Seite zurücklinken.

Inhalt zu vervielfachen, ist eigentlich ein No-Go. Sogenannter «Duplicate Content» wird von Google abgestraft. Und vor allem sieht Google Redirects eigentlich nicht sonderlich gerne.

Fall #4

Ein anderer SEO-«Experte» ist erzürnt darüber, dass die Startseite unter www.domain.com und unter www.domain.com/home/ erreichbar ist.

Wie wir vom vorhergehenden Fall nun wissen, sollte «Duplicate Content» vermieden werden. Der SEO-«Experte» ist für einmal ein Experte.

Gleichzeitig will der SEO-«Experte», dass keine 404-Seite eingerichtet wird. Bei einem 404-Fehler solle unbedingt der Inhalt der Startseite angezeigt werden.

Aber warum die 404-Seite den gleichen Inhalt wie Homeseite anzeigen soll, ist uns rätselhaft: Widerspricht sich der SEO-«Experte» nicht? Ausserdem empfiehlt Google im SEO Starter Guide klipp und klar «Have a useful 404 page».

Fall #5

Der SEO-«Experte» empfiehlt in die URLs möglichst viele Keywords zu packen. Aus domain.ch/team/toni-meier/ wird neu etwas wie domain.ch/team-schreinerei-zuerich/schreinermeister-toni-meier/toni-meier-schreinerei-holzmoebel-einbauschraenke-masstische-zuerich-albisrieden.html

Grundsätzlich empfehlen wir URLs für Menschen lesbar zu machen und demzufolge auch logisch aufzubauen. Überlange URLs sind definitiv nicht Userfreundlich (probieren Sie mal so eine lange URL jemandem am Telefon zu kommunizieren), zudem sind diese anfällig auf Fehler bei Copy & Paste. Desweiteren gilt zu beachten, dass je mehr Wörter in einer URL sind, desto weniger jedes einzelne gewichtet wird.

Ebenfalls suboptimal sind so lange URLS mit sich wiederholenden Begriffen, da dies als Keyword Stuffing und damit als Black Hat Technik eingestuft werden kann.

Fall #6

Der SEO-«Experte» empfiehlt: Der Besucher einer Webseite sollte auf jeder Unterseite die Möglichkeit haben direkt mit Ihnen in Kontakt zu treten - idealerweise per Web-Formular.

Die Kontaktmöglichkeit prominent zu platzieren, ist immer eine gute Sache. Warum dies aber das Ranking in Google verbessern soll, steht auf einem anderen Stern.

Fall #7

Ein Kunde bestellt bei einer Agentur eine SEO-Analyse. Die Agentur empfiehlt in erster Priorität Google AdWords zu schalten und nicht die Inhalte zu optimieren, da dies sich nur langfristig lohne.

Auch in diesem Fall hatte der Kunde bereits eine Top-Platzierung (Platz 1 bei den relevanten Keywords). Dass die Agentur die Suchmaschinenoptimierung nicht empfiehlt ist also einigermassen nachvollziehbar (wobei die Website etwas in die Jahre gekommen ist und man durchaus etwas hätte tun können). Warum aber der Kunde nun monatlich (viel) Geld für AdWords ausgeben soll, bleibt das Geheimnis der Agentur.

Fall #8

Ein Kunde (in diesem Fall ein Zahnarzt) hat eine Startseite mit viel Bild und wenig Text. Der SEO-«Experte» empfiehlt in der Fusszeile ein Lexikon mit Fachbegriffen zu platzieren. Erst per Klick wird dieses sichtbar.

Grundsätzlich ist Text auf der Startseite eine absolut sinnvolle Sache. Aber muss es ein Lexikon mit Fachbegriffen sein, das für den User fast nicht sichtbar ist? Und welche Besucher suchen nach medizinischen Fachbegriffen, die sie garantiert nicht kennen? Und falls sie doch danach suchen und tatsächlich auf der Seite landen, sind sie nicht gleich wieder weg, weil das Lexikon so gut versteckt ist? Wäre es nicht besser einen Text (prominent) zu platzieren, der dem User das Angebot kurz und bündig zusammenfasst? Und wenn man sich schon die Mühe ein Glossar zusammenzustellen: in der Hauptnavigation platziert würden es die Besucher auch sehen.

Das Fazit

Diese Fälle und viele weitere Erfahrungen zeigen, dass viele SEO-«Experten» durch Ihr Verkaufstalent auffallen – aber wenige durch Ihr Fachwissen überzeugen.

Selbstverständlich ist die Auffindbarkeit des eigenen Online-Auftritts in Suchmaschinen wie Google überaus wichtig. Mit einer sauberen Programmierung macht man grundsätzlich vieles schon mal richtig: Semantisches HTML, menschenlesbare URLs, eine sitemap.xml-Datei, schnelle Ladezeiten, etc. sollten eine Selbstverständlichkeit sein.

Der wichtigste Faktor liegt aber meist in den Händen der Kunden: Inhalt, Inhalt und nochmals Inhalt. Wer aussagekräftige Texte erstellt, kluge Seitentitel und anständige Seitenbeschreibungen und Keywords (ob die wiederum nützlich sind, ist fraglich) liefert, punktet bei den Suchmaschinen auf jeden Fall. Ist der Inhalt so gut, dass andere Websites darauf verweisen, umso besser.

Kunden sollten die Tipps von SEO «Experten» mit Vorsicht geniessen. Wir haben zu viele Beispiele erlebt, bei denen trotz teurer Verträge sich die Platzierung der Website nicht merklich verbessert hat.

Bevor Kunden tausende von Franken in einen SEO-«Experten» (mehrjährige Lock-In-Verträge sind anscheinend üblich) und in uns Developer für die Umsetzung der teils abstrusen Tipps investieren, sollten sie für das Geld einen Texter engagieren. Anstatt der übermotivierten Suchmaschinen-Optimierung wünschen wir uns wieder mehr gesunden Menschenverstand und den Blick für's Ganze. Konzept, Design, Inhalte und Programmierung konsequent auf die Benutzer auszurichten bringt am Ende des Tages ungleich viel mehr als der alltägliche SEO-Wahnsinn.